Häusliche Gewalt und die Auswirkungen auf das Leben von Frauen
Das Erleben gewalttätiger Übergriffe hat auf das Leben vieler Frauen gravierende Auswirkungen. Gefühle von Angst, Schmerz und Hilflosigkeit, von Scham und von maßloser Enttäuschung und Wut, von Sinnlosigkeit und Verzweiflung bestimmen ihr Lebensgefühl. Körperliche Gewalt verursacht auch psychische Folgebeschwerden.
Gewaltbetroffene Frauen leiden unter Selbstzweifeln und vermindertem Selbstwertgefühl, unter Angstzuständen, Panikattacken und Schlafstörungen, unter Ess-Störungen und Depressionen und unter posttraumatischen Belastungssyndromen.
Viele Frauen schaffen es lange Zeit nicht, den gewalttätigen Partner zu verlassen. Sie beschreiben ihr Leben mit dem gewalttätigen Partner als einen Kreislauf, in den sie verstrickt sind. In einer Zeit des Spannungsaufbaus nehmen Beschimpfungen, Kontrolle und Vorwürfe des Partners zu, die Frau versucht, den Partner durch Fürsorglichkeit zu beschwichtigen, trotzdem ereignen sich gewalttätigen Ausbrüche, auf die eine Phase der Zuwendung und Ruhe folgt. Für viele Täter ist ihr Gewaltausbruch im Nachhinein nicht mehr zu verstehen und sie suchen die Schuld bei ihrer Partnerin, die sie „provoziert“ habe, „hysterisch“ sei und einfach zu vieles falsch mache. Dies hindert viele Frauen, den Täter zu verlassen um ein Leben ohne Gewalt zu beginnen.
Nach traumatischen Erfahrungen fällt es gewaltbetroffenen Frauen sehr schwer, Vertrauen zu wagen und sich an helfende Personen zu wenden. Betroffene von häuslicher Gewalt brauchen gute Hausärzt*innen, Nachbarinnen, Freundinnen und Beraterinnen, die sich solidarisch an die Seite der gewaltbetroffenen Frau stellen und sie mit Geduld und Verständnis bei den nächsten Schritten heraus aus der Gewaltbeziehung begleiten.
Der Kreislauf der Gewalt
Der Kreislauf der Gewalt beschreibt eine häufige Dynamik in Gewaltbeziehungen.
Nicht alle Gewaltbeziehungen sind gleich, doch häufig beschreiben gewaltbetroffene Frauen, dass ihre Partnerschaft als schöne Liebesgeschichte begann, in der sich die Frau begehrt und mit Liebe überschüttet fühlte. Langsam zeigte der Partner kontrollierendes und eifersüchtiges Verhalten, getarnt als fürsorgliche Liebe, das zunehmend in Kritik und Abwertungen übergeht. Die Partnerin wünscht sich die Liebesbeziehung vom Anfang der Partnerschaft zurück und bemüht sich, so zu sein wie es der Partner wünscht, um der Spirale aus Abwertung und Selbstvorwürfen zu entgehen. Schließlich folgt ein erster gewalttätiger Übergriff.
Schon 1979 beschrieb die Psychologieprofessorin Lenore E. Walker aus den USA die zwischen dem Paar entstandene Dynamik als Kreislauf der Gewalt mit nacheinander ablaufenden Phasen.
1. Phase: Spannungsaufbau
Diese Phase ist geprägt von Abwertungen, Demütigungen, Beschimpfungen oder auch kleineren gewalttätigen Übergriffen des Partners. Die Partnerin fühlt sich beleidigt und respektlos behandelt. Der Gewaltausübende hält sie fest, reißt ihr das Handy aus der Hand oder gibt ihr eine Ohrfeige. Die Frau unterschätzt oftmals die Gewalt, wenn sie mit ersten verbalen Angriffen des Partners konfrontiert ist und sich kleinere gewalttätige Zwischenfälle ereignen.
Sie versucht, den Partner mit Fürsorglichkeit zu besänftigen und so eine Eskalation zu vermeiden. Sie richtet ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Gewaltausübenden, eigene Bedürfnisse und Ängste werden unterdrückt. Eine gewisse Zeit lang gelingt es noch, den Gewaltausübenden mit Hilfe von Methoden zu besänftigen, die sich bereits in vorherigen Situationen als erfolgreich erwiesen haben.
2. Phase: Misshandlung
Ein äußeres Ereignis, z. B. eine Kränkung im Berufsalltag oder im Rahmen eines Beziehungsstreits, führt zu einem akuten Ausbruch von Gewalttätigkeit verbunden mit einem hohen Maß an Destruktivität. Auch wenn die Opfer schon schwer verletzt sind, hören die Gewaltausübenden häufig nicht mit den Misshandlungen auf. Der erste Schlag erfolgt oft bewusst, die Gewaltausübenden erleben sich selbst als aktiv und handelnd und delegieren so die eigenen Angst- und Ohnmachtsgefühle an die Opfer. Nach den ersten Schlägen erfolgt häufig ein „Blackout“ und Erinnerungslücken.
Die Opfer reagieren in der Phase körperlicher Misshandlung mit Flucht, Gegenwehr oder Ertragen der Misshandlung. Wenn die Gewalt nicht durch Flucht oder Gegenwehr beendet werden kann, sind die Opfer den Misshandlungen ausgeliefert. Die Betroffenen wissen nicht, wann die Gewalt enden wird. Oft sind diese Situationen mit Todesängsten verbunden.
Die erlittene Gewalt, der Verlust jeglicher Kontrolle sowie die absolute Hilflosigkeit haben – neben körperlichen Verletzungen – schwerwiegende psychische Folgen. Manche Opfer geraten in einen Schockzustand, der über Tage anhalten kann.
Wenn in einem solchen Moment die Polizei gerufen wird, erscheinen die Opfer vielleicht aggressiv, apathisch oder widersprüchlich in den Aussagen. Oft entwickeln Opfer von schwerer häuslicher Gewalt posttraumatische Belastungsstörungen, die sich in verschiedenen körperlichen, psychischen und psychosomatischen Symptomen äußern. Typisch sind Schlafstörungen, chronische Schmerzen, Ängstlichkeit, Verlust des Vertrauens in sich und andere Menschen.
3. Phase: Reue und Zuwendung
Nach dem Gewaltausbruch versuchen viele Frauen, die erlittene Gewalt zu bagatellisieren, in der Hoffnung, auf diese Weise den Partner nicht zu weiteren Übergriffen zu provozieren. Gewaltausübende zeigen oft ein reuevolles Verhalten, bemühen sich, sich liebevoll und zugewandt zu zeigen, und bitten um Verzeihung. Sie möchten das Geschehene rückgängig machen und versprechen, ihr Verhalten zu ändern. Sie schämen sich, fühlen sich ohnmächtig. Sie umwerben die Partnerin, was dazu beiträgt, gemeinsam die Gewalt zu verleugnen. Viele Frauen schöpfen Hoffnung, nehmen die Strafanzeige oder den Scheidungsantrag zurück und versuchen, ein harmonisches Familienleben zu gestalten, in dem es keine Konflikte gibt. Dies führt dazu, dass die Opfer ihre aufgrund der Gewalterfahrung distanzierten Gefühle wieder aufgeben und dadurch die Möglichkeit verlieren, die eigene Bedrohungs- und Gefahrensituation realistisch einzuschätzen und Hilfe zu suchen.
Viele Gewaltausübende können ihre Versprechungen auch Dritten gegenüber sehr glaubhaft machen. Manchmal wirkt daher auch das Umfeld auf die Opfer ein, doch noch einmal zu verzeihen und den Gewaltausübenden noch einmal eine Chance zu geben.
4. Phase: Abschieben der Verantwortung
Nach der Reue folgt oft eine Suche nach der Ursache des Gewaltausbruchs. Viele Gewaltausübende empfinden die Gewalttat als etwas, das sie nicht kontrollieren können. Dementsprechend suchen sie die Gründe nicht bei sich selbst, sondern in äußeren Umständen (z. B. Alkoholkonsum, Schwierigkeiten bei der Arbeit) oder bei den Opfern. Um sich selbst zu entlasten, wird zunehmend den Opfern die Schuld für den Gewaltausbruch zugeschoben.
Auch die Opfer selbst beziehen einen Teil der Schuld häufig auf sich. Der Gedanke ist leichter auszuhalten, selbst „mitschuldig“ gewesen zu sein und damit auch über gewisse Einflussmöglichkeiten zu verfügen, als das Bewusstsein der absoluten Ohnmacht und Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins. Die Opfer übernehmen so die Verantwortung für eine Tat, die sie selbst nicht begangen haben, und haben oft auch Schuldgefühle, weil sie das gewalttätige Verhalten nicht verhindern konnten. Als Folge müssen sich die Gewaltausübenden nicht mehr verantwortlich fühlen.
Die Täter haben einen Kreislauf der Gewalt eröffnet, der das Opfer immer mehr verstrickt. Zunehmend kommt es nun zunächst wieder zu verbalen Attacken und dann erneut zu sich steigernden kleineren Gewaltakten – ein neuer Zyklus beginnt.
Je länger die Gewaltbeziehung existiert, um so kürzer werden die Phasen der liebenden Zuwendung. Auch die Abstände zwischen den Gewalthandlungen werden kürzer und die von Gewalt bestimmten Auseinandersetzungen werden brutaler.
Viele Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen bestätigen durch ihre Forschungen und Erfahrungen diesen Zyklus. Die Verzweiflung der Frau nimmt immer weiter zu und sie braucht Hilfe von außen, um sich und ihre Kinder vor weiterer Gewalt zu schützen.